Verhalten betritt er die S-Bahn, setzt sich nicht hin, wendet sich ab. Er starrt auf die Trennscheibe. Irgendwann dreht er sich um und schaut grimmig durch den Wagen. Er ist unauffällig gekleidet, braune Stoffhose, frisch gebügelt. Ein nasser Regenmantel, es regnet ja schon seit Tagen, deswegen trägt er auch einen normalen Schirm. Eigentlich eine unauffällige Person, wenn da die Frisur nicht wäre.
Sorgfältig an der Seite zurückgekämmt, eine Schmalztolle exakt geformt. Man kann das Gel, nein, nicht Gel, die Pomade förmlich riechen. Die in den 50ern sehr populäre Frisur assoziiere ich eher mit kohlrabenschwarzen Haaren, so wie bei Elvis. Diese sind grau, fast komplett.
Fast fünfzig Jahre ist es her, da war er ein Rebell. Kämpfte mit dem ganzen Habitus gegen die spießige Gesellschaft. Jetzt ist er ein Inbegriff des Spießers, doch die Frisur spricht dagegen. Träume der guten alten Zeit sind geblieben, deswegen seit fünfzig Jahren das Haar nicht geändert. Jeden Morgen sorgfältig vor dem Spiegel, formen der Haare, auch wenn sie immer weniger werden. Die moderne Welt in der Bahn ist ihm ein Gräuel, er träumt von den guten alten Zeiten.
Seit fünfzig Jahren die gleiche Frisur, gibt es dafür überhaupt einen lebenden Friseur? Oder ist es ganz modern, wenn man an Götz Alsmann denkt? Wenn nur der Bierbauch nicht wäre.
Frühere “Menschen”-Artikel: Die Punks, Der Professor, Die Blonde, Der Gitarrist, Der 68er, Die Pappprinzessin, Der Miniaturgeneral, Die Überempfindliche, Die Kneipenbesitzerin, Der Verwirrte